Untermain aktuell 2/1997


Wenn "Sportler" die Natur abschießen wollen ...


- Erfreulich: Der Graureiher, 1970 mit nur 70 Brutpaaren in Hessen dem Aussterben nahe, ist längst nicht mehr der von Anglern meistgehasste Vogel. 1996 brüteten wieder 900 Paare Ardea cinerea; ein leichter Rückgang gegenüber den Vorjahren deutet an, dass sich hier eine optimale Größe einpendelt. Der elegante Vogel hat seine frühere Scheu verloren und besucht Parkteiche (etwa in Frankfurts Zoo und Palmengarten), höchstens Goldfischgärtner sind ihm gelegentlich gram.

- Bedenklich: Ein Propagandafeldzug der "Sport"-Fischer bedroht den geschützten Kormoran, der nach jahrhundertelanger rigoroser Ausmerzung an der Ostsee wieder große Kolonien gebildet hat und dabei ist, auch das Binnenland als Überwinterungs- und Brutgebiet zurückzugewinnen. 1985 brüteten 2 Paare bei Lampertheim. 1993 waren es 150: 1996 brüteten hier und in einer zweiten hessischen Kolonie im Rheingau insgesamt 350 Paare Phalacrocorax carbo sinensis. Dazu kommt eine wechselnde Anzahl durchziehender und hier ausharrender Wintergäste - insgesamt etwa 2000 Vögel. Das beunruhigt den Angel-"Sport" und er fordert: "Feuer frei!"

Die Zahlen nannte am 4. April in einem Untermain-Vortrag Dr. Rudolf Roßbach von der Staatlichen Vogelschutzwarte. Und diese Zahlen sind wichtig, denn mit Zahlen wird Politik gemacht - das Flugblatt hessischer Sportfischer zeigt es. Roßbachs Angaben sind seriös: sie beruhen auf Fachliteratur und zuverlässigen Untersuchungen, die zum Teil im Auftrag eines Arbeitskreises aus Sportfischern und Vogelschützern angestellt wurden. (Das Land Hessen hatte dieses Gremium angeregt - bei den Sitzungen geht es, wie zu hören ist, gelegentlich hoch her.)

Warum nun wollen die Verbandsangler statt zur Rute zur Flinte greifen? Sie fürchten die "natürliche" Minderung "ihrer" Erträge aus einer reinen Freizeitbeschäftigung.

Berufsfischer gibt es auf unseren Flüssen übrigens kaum mehr - und denen könnte man wie Landwirten notfalls einen Ausgleich zahlen. Wobei es widerlegt scheint, dass die Hauptbeute der Kormorane aus den für die Fischerei interessanten Fischarten und -größen besteht.

Sicher geschädigt werden vom Kormoran unvorbereitete Teichwirte: sie haben dem "Seeraben" wenig entgegenzusetzen, und der kann dem Schlaraffenland einer Massentierhaltung nicht widerstehen. Auch hier bieten sich durchaus Lösungen an - möglicherweise aufwendige. Mit Ihrer Schießwut stehen die Freizeitangler ziemlich allein. Ihr Hauptargument sind die "Besatzfische", mit denen sie sogenannte Gewässer-"Hege" betreiben. Die allerdings hat mit Naturerhaltung nichts zu tun - im Gegenteil: "Da wird der Bach zum Stall gemacht", meint Rudolf Roßbach. Leider wird in allen Pachtverträgen des Staates heute noch "Besatz" verlangt.

Nach Roßbachs Ansicht haben sich Reiher und Kormorane nicht nur wegen des Schutzes, sondern auch wegen deutlich verbesserter Wasserqualität gut ausbreiten können; bei den Rheinauen seien etwa heute im Winter weniger Reiher- und Tafelenten zu beobachten, dafür mehr Kormorane und Gänsesäger: "Weniger Detritus (abgesunkene Abfallteilchen), dadurch weniger Schnecken, dadurch weniger Molluskenfresser, dafür aber mehr Fische und mehr Fischfresser."

Den Ornithologen wundert es übrigens wenig, dass der Kormoran heftig attackiert wird, der Reiher dagegen kaum; Roßbach sieht darin eine Modeerscheinung - und Moden wechseln: "Heute haben wir auch kein Katzenproblem mehr, heute haben wir ein Elsternproblem."

Der Kormoran in Hessen
A. Brutbestandsentwicklung
1909 letzte Brut, dann ausgestorben bis zur Erstansiedlung in Lampertheim
1985 2 BP (Harbodt, Keil, Roßbach '89)
1987 20 BP (Harbodt, Keil, Roßbach '89)
1989 49 BP (Hormann & Korn, 1994)
1990 12 BP (Hormann & Korn, 1994)
1993 150 BP (Hormann & Korn, 1994)
1996 350 BP 2 Kolonien (Rote Liste 1996)

B. Winterbestand
Hauptrastgebiet Europas. Bingen-Erbach:
1982/83 maximal 40 Exemplare (Nov.)
1985/86 maximal 600 Exemplare (Nov.)
1989/90 maximal 1000 Exemplare (Nov.)
1994/95 maximal 1600 Exemplare (Nov.)

Geschätzter Gesamtbestand Mainz-Bonn '94:
1600-1800 Exemp1.(Auszüge nach R. Roßbach)

Auf diesem Flugblatt (rechts) des Verbands hessischer Sportfischer stimmt nichts:
- Die Aussagen sind unwahr!
- Alle Zahlen sind um rund 100 Prozent überhöht!
- Und sogar das Bild ist falsch!

Die überzogenen Zahlen sind im Text des Flugblatts von uns handschriftlich korrigiert. Die Berechnung des Futterbeispiels geht von 500 g Fisch pro Tag und Vogel aus; dazu David Gremillet u. Dagmar Schmidt 1993 in einem Gutachten für ein schleswigholsteinisches Ministerium: "Bei nicht brütenden Vögeln, die nach unseren Berechnungen 243 g Fisch am Tag brauchen, stellt eine Tagesration von 500g sogar für Winterbedingungen offensichtlich eine starke Überschätzung dar. "

Zum Bild: ein Fischgerippe wird beim Kormoran keiner finden - der schluckt komplett. Zu den Flugblatt-Texten: "Leergefressene Flüsse"- das glauben die Angler doch wohl selbst nicht!

"Plündern" können kriminelle Menschen; wer Tiere kriminalisiert, will Haß schüren. "Ökologisches Ungleichgewicht" gleicht die Natur selbst aus - allerdings vielleicht nicht so, wie Hobby-Angler es gerne hätten! "Auf Kosten anderer Arten" - der Angler? "Durchkreuzt alle Anstrengungen" - wenn diese Anstrengungen natürliche Entwicklungen nicht zulassen, sind sie falsch! Die "Sport"-Fischer fordern "Regulierung" und meinen: "Abschießen". Sie aktualisieren so auf ihre Weise eine dumme Redensart:

(Angel-)Sport ist (Vogel-)Mord! Von den Fischen ganz zu schweigen.

Wulf Röhnert